Start-up-Experte Martin Mössler leitet den Science Park Graz mit angeschlossenem ESA-Inkubationszentrum in Graz (Foto: Big Shot)

Die Start-up-Welt im Umbruch: Venture Capital ist in ganz Europa nach den Zinskorrekturen Mangelware, viele Start-ups kämpfen ums Überleben. Wie sich Jungunternehmen in diesen fordernden Zeiten etablieren und welche Rolle Inkubatoren einnehmen, das erzählt Martin Mössler, Geschäftsführer des Science Park Graz, im Interview.

Inkubatoren und Beschleunigerprogramme gelten als Sprungbrett für junge Unternehmen. Kritiker behaupten jedoch, dass viele dieser Programme nur kurzfristige Erfolge liefern, aber langfristig wenig Mehrwert bieten. Welche echten Mehrwerte bieten Inkubatoren Ihrer Meinung nach?

Martin Mössler: Es ist unser Anspruch, hochinnovative, technologienorientierte Lösungen zu gestalten, die in der Lage sind, einen Wertezuwachs – sowohl im ökonomischen als auch gesellschaftlichen Sinn – zu erzeugen. Unsere Erfahrung im Science Park Graz zeigt folglich ein anderes Bild: In einer zunehmend kompetitiven und disruptiven Wirtschaft bieten solche Programme nicht nur den sprichwörtlichen ‚Sprung ins kalte Wasser’, sondern eine fundierte Vorbereitung, die auf internationale Studien und Erfolgsmessungen basiert. Zum Beispiel zeigt die jüngste Analyse von BCG, dass gut geführte Inkubatoren die Überlebenswahrscheinlichkeit von Start-ups langfristig um 30 bis 40 Prozent steigern können, indem sie den Zugang zu Netzwerken, Ressourcen und strategischer Expertise ermöglichen. In der Steiermark sehen wir die Früchte unserer Qualitätsorientierung; Start-ups, die durch Programme wie unsere Inkubation unterstützt wurden, wachsen schneller, überleben häufiger, schaffen Arbeitsplätze und generieren signifikanten wirtschaftlichen Mehrwert.

Dennoch scheitern viele Start-ups. Wie weit ist dieses Risiko einkalkuliert?

Wirtschaftlicher Erfolg muss Ziel jeder Unternehmensgründung sein! Dennoch: Scheitern ist in der Welt der Start-ups ein integraler Bestandteil des unternehmerischen Prozesses und keineswegs eine bloße Niederlage. Eine hohe Quote gescheiterter Projekte zeugt auch davon, dass hoher Anspruch und Innovationswille vorhanden waren. Gerade visionäre Geschäftsmodelle, die versuchen, sich von bestehenden Konzepten abzuheben, Standards zu setzen, sind oft risikoreich– was sie anfällig macht. Aber genau diese Wagnisse fördern Fortschritt und verhindern, dass wir lediglich Iterationen des Bestehenden entwickeln.

Zugleich ist es entscheidend, dass die Start-up-Landschaft sich nicht auf die Jagd nach „Unicorns“ begibt, sondern den Aufbau stabiler, mittelständischer Unternehmen unterstützt, die nachhaltige Arbeitsplätze in Österreich schaffen. Diese Unternehmen tragen langfristig zu jener wirtschaftlichen Gesundheit und robusten Innovationskultur bei, die für den Standort unverzichtbar sind.

Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheit werden Finanzierungen knapper. Wie beeinflusst diese Entwicklung die Gründerszene? Was raten Sie jungen Gründer, die auf der Suche nach Investoren sind?

Insbesondere in Wien verzeichnete die Szene im vergangenen Jahrzent ‚fette Jahre‘, in denen oft Storyteller die Oberhand hatten und Finanzierungen oftmals durch geschickte Inszenierungen angezogen wurden. Mit der derzeitigen Marktbereinigung und dem Fokus auf solide Geschäftsmodelle sind diese Zeiten vorbei. Bei uns in der Steiermark bleibt die Gründerszene jedoch weitgehend stabil. Das liegt daran, dass wir stets qualitätsgetrieben agieren – Qualität und nachhaltiger Umsatz stehen im Vordergrund. Jungunternehmen sollten sich immer darauf konzentrieren, Substanz statt Show zu bieten, um auch in anspruchsvollen Zeiten relevant zu bleiben.

Venture-Capital-Alternativen gewinnen in der Folge an Bedeutung, vor allem in Zeiten knapper Finanzierungen. Unsere Kooperation mit der Steiermärkischen Sparkasse im Science Park Graz ist ein wichtiger Baustein, um Start-ups durch maßgeschneiderte Finanzierungsmodelle zu unterstützen. Doch letztlich bleibt die beste Finanzierung das Geld des Kunden – der direkte Beweis, dass das Geschäftsmodell funktioniert und echten Mehrwert schafft. Auf diese Weise sichern sich Start-ups nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch eine langfristige Bindung zum Markt.

Große Tech-Unternehmen ziehen nicht nur Investoren, sondern auch Talente von Start-ups ab. Was können kleinere Start-ups tun, um relevant zu bleiben?

Große Tech-Unternehmen haben zweifellos einen Vorteil, wenn es darum geht, Talente und Investoren anzuziehen. Dennoch bieten Start-ups einzigartige Benefits und stehen keineswegs chancenlos da. Sie schaffen spannende Arbeitsplätze mit visionären Geschäftsmodellen und agilen Strukturen, die besonders jungen Talenten entgegenkommen. Anders als etablierte Konzerne können Start-ups schnell auf Marktveränderungen reagieren und innovative Lösungen in kürzerer Zeit umsetzen. Zudem fördern sie eine Kultur der direkten Mitgestaltung und Eigenverantwortung, die oft flache Hierarchien und kreative Freiheit umfasst. Für viele Mitarbeitende sind diese Freiheiten entscheidende Anreize. Ein weiterer Vorteil liegt in der starken Sinn- und Werteorientierung, die viele junge Unternehmen verkörpern.

Viele Start-ups werden oft von der Idee getrieben, möglichst schnell zu skalieren, was häufig zu überstürzten Entscheidungen führt. Glauben Sie, dass der Druck zur Skalierung ein toxisches Element in der Start-up-Kultur geworden ist? Sollte weniger Fokus auf schnelles Wachstum gelegt werden?

Geschwindigkeit ist in der Start-up-Welt entscheidend – wer nicht schnell agiert, verpasst oft den richtigen Moment, um sich am Markt zu positionieren. Dabei spielt Time-to-Market die zentrale Rolle: Es geht darum, möglichst rasch das Feedback der Kunden einzuholen und so das Produkt kontinuierlich zu verbessern. Schnell zu sein bedeutet nicht, überstürzt zu handeln. Stattdessen sollte der Fokus auf einer gut durchdachten Skalierungsstrategie liegen, die die Grundstruktur des Unternehmens nicht überlastet. Wer die Reise als Start-up antritt, muss wissen, dass Agilität und Lernfähigkeit der Schlüssel sind, um sich langfristig erfolgreich am Markt zu etablieren.

Nachhaltigkeit wird in der Start-up-Szene oft als Buzzword verwendet. Wie ernsthaft ist dieses Engagement wirklich? Gibt es Ihrer Meinung nach zu viele Start-ups, die sich aus reinen PR-Gründen als „nachhaltig“ positionieren?

Ohne Zweifel bedarf es inspirierter, mutiger Innovatoren und bahnbrechender Technologien, um den Herausforderungen zu begegnen, denen wir heute gegenüberstehen. Denn Wohlstand wird über die nächsten Jahre zunehmend durch Technologie und Wissen geschaffen werden müssen. Technischer Fortschritt und Innovation werden langfristig zum alleinigen Wachstumstreiber werden, weil demografisch bedingt die Beiträge von Arbeit und Kapital abnehmen werden. Junggründerinnen und Junggründer kommt dabei eine zentrale Rolle zu: Mit ihren unternehmerischen – oft nachhaltigen – Visionen realisieren sie auf Basis von Forschung neue Entwicklungen. Nur als Anhaltspunkt: Bereits jedes dritte der insgesamt 60 Start-ups am Science Park, die allein in den vergangenen zwölf Monaten in unserem universitären Inkubator aufgenommen wurden, entwickelt Lösungen zum Schutz des Planeten. Das zeigt, dass Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze mit positiven gesellschaftlichen Aspekten einhergehen. Unsere Rolle dabei ist, die Start-up bestmöglich auf ihrem Weg an die internationale Spitze  zu unterstützen. 

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